Kontaktaufnahme

Teilhabe durch Sprachmittler*innen

Drei junge Männer sitzen im Gespräch beieinander.

Kennen Sie das? Sie sitzen auf der Behörde und verstehen nur die Hälfte dessen, was Ihr Gegenüber erklärt. Wo es selbst für Muttersprachler*innen schwierig werden kann, kommen Zugewanderte mit wenigen Sprachkenntnissen schnell an ihre Grenzen. Der AGIUA e.V. aus Chemnitz hat daher einen Sprachmittler*innenpool aufgebaut, um diese Hürde zu senken.

Seit 2015 betreibt der AGIUA e.V. ein Projekt mit Sprach- und Integrationsmittlern (SprInts). „Im Zuge der gesellschaftspolitischen Entwicklungen des Jahres 2015 und der damit einhergehenden Bedarfe an brückenbauenden Dienstleistungen auf sprachlicher und kultureller Ebene sind wir mit acht Sprachmittlern an den Start gegangen. Bis heute haben wir daraus ein akquirierendes, qualifizierendes und koordinierendes Projekt mit rund 130 ehrenamtlichen SprInts entwickelt. In über 30 Sprachen kann aktuell übersetzt werden“, berichtet Sophia Krake, Projektleiterin SprInt. Hauptaufgabe des Projektes ist die Vermittlung der Sprachmittler*innen an Personen mit Unterstützungsbedarf. Zudem betreuen und beraten die drei Mitarbeiter*innen die ehrenamtlichen SprInts. So bieten sie etwa verschiedene Workshops an, aber auch Einzelfallhilfe.

Sprachmittlung für fast alle Lebensbereiche

Die Projektleiterin erklärt: „Unsere SprInts dolmetschen und übersetzen in fast allen Lebensbereichen. Von dolmetschen sprechen wir, wenn es um die Gesprächsbegleitung geht wie beispielsweise bei Behörden, Ärzten oder auch bei Elterngesprächen in Kitas. Im Zusammenhang mit Asylverfahren, Ausbildung, Studium oder Arbeit müssen häufig auch Dokumente ins Deutsche übertragen werden. In diesen Fällen sprechen wir von Übersetzen.“

Die Leistungen des Sprachmittlerpools werden sowohl von Institutionen und Organisationen als auch von Privatpersonen in Anspruch genommen. Die Bundesagentur für Arbeit und die Stadtverwaltung gehören ebenso dazu wie soziale Einrichtungen, die Zugänge zu ihren Angeboten öffnen wollen. Insbesondere Regelangebote wie Kitas, Beratungsstellen oder Pflegeeinrichtungen profitieren davon. Privatpersonen greifen auf die SprInts als Begleiter*innen zurück, wenn sie befürchten, dass die eigenen Sprachkenntnisse, zumeist in formalen Zusammenhängen, nicht ausreichen.

Mit ihrer Tätigkeit überbrücken SprInts zudem Verständigungsbarrieren, die über das gesprochene Wort hinausgehen. Sie sind immer auch Vermittler*innen zwischen unterschiedlichen Sichtweisen und wirken kulturell bedingten Missverständnissen entgegen. Dabei versuchen sie stets, kultursensibel Verständigung herzustellen und Brücken zu bauen. Schon oft haben sie dadurch Lösungen befördern können, die für beide Seiten verständlich und nachvollziehbar sind.

Sprachmittlung als Chance für die Sprachmittler*innen

„Unsere ehrenamtlichen SprInts haben meist selber einen Migrationshintergrund und lernen während ihrer Tätigkeit selber dazu. Sie vernetzen sich, lernen städtische Strukturen und Behörden kennen und erweitern ihr Vokabular. Daher verzeichnen wir ein vermehrtes Interesse, sich als SprInt zu engagieren“, sagt Sophia Krake erfreut und die Nachfrage nach den Leistungen steigt beständig an. Nicht zuletzt die Chance, sich beruflich zu verankern und weiterzubilden, macht die Mitarbeit attraktiv. AGIUA bietet den Engagierten u.a. eine 18-monatige Qualifizierung als Sprach- und Integrationsmittler*in an.

Ehrenamt stößt an Leistungsgrenzen

Mit der kontinuierlich steigenden Nachfrage gehen auch wachsende Anforderungen an die Fähigkeiten der Sprachmittler*innen einher. Obwohl das Projekt mit Weiterbildungsangeboten und Erfahrungsaustauschen sowie der beständigen Akquise neuer SprInts den zunehmenden Bedarfen Rechnung zu tragen versucht, ist sich das Projektteam einig, dass die Leistungsfähigkeit ehrenamtlicher Strukturen an ihre Grenzen stößt.

Die Projektleiterin stellt fest: „Wir haben eine Ebene erreicht, auf der wir den Sprung vom reinen Ehrenamt hin zu qualifizierten Fachkräften machen müssen. Anders ist der zunehmenden Komplexität der Gesprächsinhalte sowie den zeitlichen Anforderungen nicht mehr Herr zu werden. Wenn wir von Professionalisierung sprechen, meinen wir sozialversichungspflichtige Beschäftigung, die wir mit Qualifizierungsangeboten begleiten können.“ Perspektivisch soll es einen Pool an Hauptamtlichen mit ergänzenden Strukturen Ehrenamtlicher geben.

Finanzierungsmöglichkeiten für Sprachmittlung nötig

Damit die dringend notwendige Professionalisierung nicht zu Lasten jener Nutzer*innen geht, die nur wenige finanzielle Mittel besitzen, sollten die Kosten der Sprachmittlung mindestens anteilig refinanziert werden. Öffentliche Institutionen könnten diesen Posten im Rahmen der interkulturellen Öffnung mit übernehmen und bei Arztbesuchen wäre eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen denkbar, so die Vorschläge des Projektes.

Die Alternativen wären ernüchternd. Deshalb warnt Sophia Krake: „Schlimmstenfalls werden wichtige Termine wie Arzt-, Beratungs- oder Anwaltstermine nicht wahrgenommen oder es erfolgt die unprofessionelle Sprachmittlung durch Bekannte oder Verwandte – oft die eigenen Kinder. Traurige Beispiele für die teils verheerenden Folgen derartiger Situationen kennen wir leider zur Genüge, weshalb die professionelle Sprachmittlung für uns ein wichtiges Anliegen ist. Die niedrigschwellige Kostenübernahme für eines solches Angebot gehört im Bedarfsfall unbedingt dazu.“


Hendrik Kreuzberg, Referent für Migration des Paritätischen Sachsen, sagt zur Frage der Sprachmittler*innen:

„Die sprachliche Verständigung ist für die Teilhabe an nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens grundlegend. Ob beim Behördengang, beim Arztbesuch oder für die Angebote der Sozial- und Bildungsarbeit – ohne Kommunikation läuft jeder Kontakt ins Leere. Dort, wo Sprachkenntnisse nicht ausreichend vorhanden sind oder fehlen, bauen Sprachmittler*innen daher entscheidende Brücken. Alle Seiten profitieren davon.

Der Bedarf, die qualitativen Anforderungen und die Vielfalt der Einsatzbereiche sind in den letzten Jahren spürbar gestiegen. Folglich geraten die ehrenamtlich getragenen Sprachmittlerpools an ihre Leistungsgrenzen. Daher muss jetzt der Schritt hin zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen gegangen werden, wenn dieser wichtige Integrationsmotor in Sachsen nicht ins Stottern geraten soll.“

Kontakt:
Hendrik Kreuzberg
Tel.: 0351/ 828 71 145
E-Mail: hendrik.kreuzberg(at)parisax.de


Der Beitrag erschien zuerst in der Ausgabe 1.2019 unseres Verbandsmagazins anspiel.