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VILLA Lernpaten – Mit Geduld dranbleiben

Symbolbild: Zwei Hände setzen zwei Puzzle-Teile zusammen.

Täglich erreichen die Mitarbeiter*innen des Soziokulturellen Zentrums „Die VILLA“ in Leipzig Anfragen von geflüchteten Menschen. Die Bandbreite reicht von der Bitte um Hilfe bei der Sprachbildung über schulische Themen bis hin zu Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung. Im Projekt Lernpaten nutzt die VILLA dafür erfolgreich die Unterstützung von Ehrenamtlichen.

Die VILLA im Zentrum von Leipzig ist in den letzten Jahren ein wichtiger Anlaufpunkt für Geflüchtete geworden. Infolgedessen entwickelte sich das über die Aktion Mensch geförderte Projekt „Willkommen in Leipzig“. Neben Sprachangeboten, gemeinsamen Ausflügen und Kochaktionen begleitet es parallel Sprachabende und Lernpatenschaften.

Die Lernpatenschaften bilden eine Brücke zwischen Zugewanderten und Leipziger*innen, die sich ehrenamtlich in das Projekt einbringen. Das erste Duo, Mohammad und Anette, brachten die Projektkoordinatorinnen 2017 zusammen. Anette half Mohammad beim Lernen der deutschen Sprache, unterstützte ihn bei Behördengängen und beim Schreiben von Bewerbungen. Derzeit macht er am Abendgymnasium Leipzig seinen Abschluss und arbeitet nebenberuflich bei einem Pflegedienst. „Anette kam wie ein Engel“, erzählt Mohammad und sagt: „Sie hilft mir wie eine mütterliche Freundin.“ Als er die Ablehnung für seinen Asylantrag erhielt, begleitet Anette ihn zusätzlich bei Anwaltsgängen. Sie fuhr mit Mohammad bis in die Botschaft nach Berlin. Die Patenschaft sieht Anette persönlich als Bereicherung: „Ich lerne viel: über das Essen, das Land, die Leute. Da verändert sich die eigene Perspektive.“

Diese positive Erfahrung mit der ersten Patenschaft bestärkte die Projektkoordinatorinnen Janne Dörge und Christina Streit, eine Ausweitung voranzutreiben. Mit Erfolg, denn mittlerweile werden über 200 Patenschaften im Projekt betreut. Mit ihrem Engagement erleichtern die ehrenamtlichen Paten benachteiligten Schüler*innen und Auszubildenden die Integration ins hiesige Bildungssystem.

Am Anfang gut begleiten – sehen, was passt.

Nach einem ersten begleiteten Kennenlerntreffen gestalten die Akteur*innen ihre Patenschaft weitgehend allein. Die Lernpaten und “Patenkinder“ treffen sich einmal wöchentlich für etwa zwei Stunden. Aus Sicht der VILLA liegt der Schwerpunkt des Projektes nicht ausschließlich auf der Vermittlung passender Patenschaften, sondern auf deren langfristiger Betreuung und Beratung. „Die wirkliche Arbeit beginnt unmittelbar nach der Vermittlung“, weiß Janne Dörge und betont: „Die Chemie zwischen beiden muss stimmen, damit ein vertrauensvolles Miteinander wachsen kann und die Patenschaft gelingt.“

Wie die Erfahrung zeigt, sind die Erwartungshaltungen der Beteiligten oft unterschiedlich. Einerseits haben die Engagierten klare Wünsche an ihr Patenkind. Andererseits wissen die Geflüchteten und ihre Familien nicht, was zur Rolle der ehrenamtlichen Paten gehört. Oft sehen Eltern die Patenschaften vorrangig als Entlastung und haben daher unrealistische Vorstellungen von deren Unterstützung. Diese Erwartungen in Einklang zu bringen, erfordert besonders am Anfang eine intensive Betreuung durch die Koordinatorinnen. Sie sehen sich dabei in erster Linie als Vermittlungsinstanz.

Bevor potentielle Patenschaften zusammengeführt werden, erfolgt mit allen Interessierten ein persönliches Vorgespräch. Dabei erfragen die Koordinatorinnen individuelle Bedürfnisse und Möglichkeiten. In diesen ausführlichen und gut vorbereiteten Kennenlerngesprächen sieht das Projektteam den entscheidenden Schlüssel, um eine gelingende Patenschaft anzustoßen. Christina Streit unterstreicht an dieser Stelle: „Das alles ist kein Selbstläufer. Die Patenschaften ergeben nur Sinn, wenn für die verschiedenen Charaktere und Interessen ein passender Gegenpart gefunden wird.“ Weshalb sie und ihre Kollegin ein hohes Gewicht auf diese Vorbereitungsphase legen.

Zwischen Eigenverantwortung und Unterstützung

Gute Menschenkenntnis und ein Gespür für das jeweilige Gegenüber sind dabei hilfreiche Eigenschaften. Schon zu Beginn müssen Janne Dörge und Christina Streit abschätzen, wie viel Einsatzbereitschaft und Verlässlichkeit die Interessierten mitbringen. Darüber hinaus ist breites Wissen über die Problemstellungen, mit denen die Paten konfrontiert werden, unverzichtbar. Gelegentlich überfordert es die Ehrenamtlichen, insofern sie mit rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Asylgesetzgebung oder im Umgang mit einer anderen Kultur in Berührung kommen. Hier zu vermitteln und gegebenenfalls Hilfestellung zu leisten, ist eine zentrale Aufgabe der Koordinatorinnen. Viele Fragen lassen sich per E-Mail oder Telefon klären. „Wir fragen in regelmäßigen Abständen nach, wie es läuft, vermitteln bei Bedarf Fachleute und unterstützen, wo es für uns machbar ist“, so Janne Dörge.

Neben der individuellen Betreuung gibt es mit den Paten Ehrenamtstreffen, auf denen sie sich über ihre Erfahrungen austauschen können. Zudem werden Workshops zu Themen wie Asylrecht, Selbsthilfe oder Didaktik angeboten. Die enge Begleitung der Ehrenamtlichen ist notwendig, damit sie sich nicht überfordert und allein gelassen fühlen und im Zweifelsfall womöglich die Patenschaft auflösen.

»Die Betreuung der laufenden Patenschaften, die Beratung und Weiterbildung der Paten ist die eigentliche Aufgabe des Projektes. Hier heißt es, mit Augenmaß am Ball zu bleiben, um den Patenschaften genügend Freiraum zu ermöglichen, aber dennoch greifbar zu sein, wenn es mal nicht so rund läuft“, beschreibt Christina Streit den Handlungsansatz des Teams. Dass aus den Patenschaften auch Freundschaften werden, kommt gelegentlich vor, ist jedoch nicht die Regel. Für einige Ehrenamtliche ist es ganz klar nur ein zeitlich begrenztes Engagement. Vor allem Lehramtsstudierende oder Auszubildende aus dem sozialen Bereich nutzen die Lernpatenschaft als Praxiserfahrung oder als Referenz. Wichtig sei vor allem, mit Geduld dranzubleiben, sind sich die Koordinatorinnen einig. Janne Dörge ist überzeugt: „Unsere intensive Betreuung und unser offenes Ohr helfen in mindestens 90 Prozent der Fälle, dass die Patenschaft prima läuft und sich optimal  entwickelt.“


Das Projekt ist zum 30. Juni 2020 ausgelaufen. Infos zum Träger unter: www.villa-leipzig.de


Zur Autorin: Birgitt Grunewald ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit und das Fundraising bei der VILLA gGmbH.


Der Artikel erschien zuerst in der März-Ausgabe 2020 unserses Magazins anspiel.