Kontaktaufnahme

Wenn Anspruch und Realität gegeneinander laufen – Kindertagesbetreuung in der Zwickmühle

Rückblick auf die Fachtagung „Informieren – Diskutieren – Agieren“

Seit etwa sieben Jahren ist der Sächsische Bildungsplan im Freistaat gesetzlich verankert. Das Anliegen dieses Vorgehens war, Grundlagen zur Qualität und Bildungsstandards in Sachsens Kindertageseinrichtungen festzusetzen. „Die Idee dahinter ist gut“, findet auch Maria Groß, Referentin für Kindertagesbetreuung beim Paritätischen Sachsen. „Den Bildungsplan als Ausgangspunkt gleicher Startchancen für alle Kinder zu verstehen, haben wir schon seinerzeit begrüßt. Nun wird jedoch offensichtlich, dass der Freistaat vergessen hat den nächsten Schritt zu machen, nämlich die Kitas in die Lage zu versetzen, den Ansprüchen des Bildungsplanes gerecht zu werden.“ Mit dieser Feststellung ist Maria Groß nicht alleine. Ein Blick in die Praxis sächsischer Kindertageseinrichtungen zeigt die Folgen dieses Versäumnisses: Zuwenig Personal für die zu betreuenden Kinder; die Potentiale und Bildungsmöglichkeiten können nicht ausgeschöpft werden.

Der Forschungsbericht „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung“, den Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann von der Alice Salomon Hochschule Berlin auf der gestrigen Fachtagung des Paritätischen Sachsen vorstellte, macht die Folgen dieser Entwicklung deutlich. Der Bildungsplan hat sich für Fachkräfte nicht als hilfreiche Zielstellung entwickelt, sondern erzeugt einen Druck, dem das Personal trotz größter Anstrengungen nicht gerecht werden kann. Ein Ergebnis des krassen Widerspruches zwischen den Anforderungen des Bildungsplanes und den dafür zur Verfügung stehenden Rahmenbedingungen. Wie die einzelnen Einrichtungen damit umgehen ist recht unterschiedlich. Der Bogen reicht von einer Abkehr bis hin zu einer geradezu eng gefassten Auslegung des Bildungsplanes. Insbesondere letztere Herangehensweise engt die Handlungsspielräume der Fachkräfte stark ein und belastet das Personal in Übermaß. Ein Umstand, der nach außen nicht gleich ersichtlich wird, da sich die Mitarbeiter(innen) übermäßig engagieren.

Wie kann dieser Missstand für Außenstehende fassbar werden? Martin Cramer, der in Zusammenarbeit mit dem Projekt ‚Mehr Männer in Kitas‘ das Thema Zeitmanagement in Kindertageseinrichtungen bearbeitet hat, bot hierfür ein praktikables Modell. Vor den rund 80 Tagungsgästen illustrierte er anhand von Praxisbeispielen die Zwickmühle der Kindertageseinrichtungen, die sich aus der vorhandenen Personalausstattung ergeben. Gleichzeitig stellte er eine Methode vor, mittels derer Einrichtungen ganz einfach das tatsächliche Verhältnis zwischen mittelbarer pädagogischer Tätigkeit (bspw. Elterngespräche,  Vor- und Nachbereitungszeiten etc.) und unmittelbarer pädagogischer Arbeit darstellen können. Die Fachkräfte legen ihren Schwerpunkt auf die Arbeit mit den Kindern. Das ein Viertel der Arbeitszeit dringend für die mittelbaren pädagogischen Aufgaben zur Verfügung stehen muss, ist in der Realität nicht anzutreffen. Diese werden Großteils in der Freizeit erledigt.

In einem der anschließenden Workshops tauschten sich die Teilnehmenden über weitere Methoden und Instrumente aus, die Fachkräfte in den Kitas anwenden können, um besonders auch den Eltern die Schieflage zu vermitteln. Wie wichtig gerade eine transparente Darstellung gegenüber den Eltern ist, zeigte ein weiterer Workshop, an dem auch Eltern teilnahmen. Diese waren erstaunt über die derzeitigen Bedingungen und forderten für die Zukunft klarere Information zu diesen Themen ein. Der Workshop Öffentlichkeitsarbeit griff genau diese Notwendigkeit auf und vermittelte Möglichkeiten, Inhalte ansprechend aufzubereiten.

„In den letzten Jahren hat sich trotz verschiedener Aktivitäten, wie beispielsweise der Kitakampagne ‚Weil Kinder Zeit brauchen‘, leider nicht viel getan.“, sagt Maria Groß nach der Fachtagung und blickt in die Zukunft: „Ich denke, bei Politik und Verwaltung haben wir keinen Erkenntnismangel, sondern vielmehr ein Handlungsdefizit. Künftig geht es uns deshalb darum, die Eltern stärker ins Boot zu bekommen. Das vorgestellte Modell über die tatsächliche Verteilung der Arbeitszeiten kann hier unterstützend wirken und die Augen für die tatsächlichen Verhältnisse öffnen. Wenn der Druck von Seiten der Eltern steigt, steigt auch der Handlungsdruck der Politik. Schließlich handelt es sich um Wähler, die den Freistaat auffordern, seine Vorgaben in der Realität auch mit Leben zu füllen. Wenn dies nicht zum Erfolg führt, muss auch die Frage erlaubt sein, ob eine gesetzliche Verankerung des Bildungsplanes überhaupt noch sinnvoll ist.“ Für den Paritätischen Sachsen behalte das Thema gerade während der bevorstehenden Landtagswahlen 2014 einen hohen Stellenwert. Diesbezüglich gelte es außerdem eigenes Handeln zu überdenken und ggf. neue Wege zu gehen.