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Wo Eltern lernen: Elterninitiativen als Träger von Kindertageseinrichtungen

Zwei Mädchen und ein Junge im Kindergartenalter stehen vor einer Weltkarte. Das braunharige Mädchen mit Zöpfen in der Mitte zeigt mit dem Finger den Himalaya auf der Weltkarte.

Gründet eine Elterninitiative eine Kita, dann stehen oft Bildungsideale und nur das Beste für das Kind am Anfang. Dass die beteiligten Eltern in diesem Prozess selber viel lernen und sich in neuen Rollen wiederfinden, wissen die wenigsten. So stellt die Zusammenarbeit von ehrenamtlichen Eltern und hauptamtlichen Mitarbeitenden alle vor eine große Aufgabe. Wie dieser gegenseitige Lernprozess gemeistert werden kann, haben wir im Kinderladen Kichererbsen in der Dresdner Neustadt erfahren.

„In der Gründungsphase und in den ersten Jahren konzentrierten wir uns vor allem auf die räumlichen, rechtlichen und organisatorischen Gegebenheiten. Nach etwa drei Jahren lief der Kinderladen. Allerdings stellten wir zu diesem Zeitpunkt fest, wie viel wir noch gar nicht geklärt hatten“, erinnert sich Annika Römisch, ehemaliges Vorstandsmitglied im Kinderladen Kichererbsen. Mit dieser Erkenntnis ist die Elterninitiative nicht allein. Die Anfangsphase bündelt viele Kräfte und sowohl Tragfähigkeit der Vereinsstruktur als auch pädagogisches Konzept müssen sich erst beweisen.

Der Alltag zeigt die Spannungsfelder

Mit dem Betriebsalltag zeigt sich dann, wo Unklarheiten herrschen. Unterschiedliche Sichtweisen von engagierten Eltern und pädagogischen Fachkräften können dann durchaus Konfliktpotential bergen. Das erlebten die Kichererbsen ebenso. Die Frage nach der je nach Blickwinkel richtigen Qualität der organisatorischen und pädagogischen Arbeit wurde zunehmend spannungsgeladener diskutiert. Eine Herausforderung für alle Beteiligten, sich in der eigenen Rolle wahrzunehmen und jene des Gegenübers ebenfalls zu verstehen. Sowohl für den ehrenamtlichen Vorstand als auch das pädagogische Team war die Situation neu und beide Seiten mussten den richtigen Umgang damit erst erlernen.

Annika Römisch berichtet: „Zu Beginn schien alles planmäßig zu laufen. Doch dann fielen erste Schatten auf unser ideal gedachtes Gebilde. Vorstand und pädagogisches Team fühlten sich vom jeweils anderen missverstanden. Es herrschte wechselseitig der Eindruck, zu sehr belastet und gefordert zu werden. Obwohl das Miteinander und der Dialog Kernelemente in unserer Kita sind, ist damals wohl die Kultur der Wertschätzung im Alltag etwas auf der Strecke geblieben. Der Vorstand empfand zu wenig Anerkennung für sein ehrenamtliches Wirken und die Fachkräfte vermissten die Wertschätzung ihrer Professionalität.“

Sichtweisen und Rollenverständnisse als Hürden

In diesem Spannungsfeld kann es schnell geschehen, dass die unterschiedlichen Rollen Eindrücke von Macht und Überlegenheit oder Ohnmacht und Unterlegenheit provozieren. So nahm das pädagogische Team den Vorstand als Arbeitgeber und Vorgesetzten wahr, der zu beschäftigt, zu wenig vor Ort war,  sich aber - trotz fehlender pädagogischer Qualifikation - zu sehr in die inhaltliche Arbeit einbrachte. Das hauptamtliche Team war an die Weisungen gebunden, trotz  fachlicher Ausbildung und der direkten Einbindung in der Kita. Für die Beschäftigten eine unbefriedigende Situation. Die Eltern hingegen fühlten sich dem Wohlwollen und der Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgesetzt. Schon im Interesse der Kinder wollte man hier keine Konfliktlinie eröffnen.

„Die Doppelrolle der Eltern - Kunde und Arbeitgeber zugleich zu sein - verstärkte diese für Außenstehende kaum sichtbare, aber ständig präsente Spannung. Als zunehmend zwischenmenschliche Konflikte in den Gesprächen auftauchten, mussten wir handeln. Ignorieren war keine Lösung, wenn wir unseren Kinderladen gut weiterführen wollten“, sagt das ehemalige Vorstandsmitglied.

Ein wichtiger Lernprozess für beide Seiten beginnt. Die Eltern müssen einerseits ihren Arbeitgeberverpflichtungen nachkommen und andererseits den pädagogischen Fachkräften vertrauensvoll ausreichend Freiraum geben, damit diese ihre Professionalität entfalten und im Sinne des Trägerkonzeptes weiterentwickeln können. Andererseits sind die hauptamtlich Beschäftigten gefordert, sich die Möglichkeiten der ehrenamtlichen Unternehmensleitung bewusst zu machen. Den Mitarbeitenden kommt neben dem täglichen Praxisbetrieb die Aufgabe zu, die Kita im Sinne der Elternidee mitzugestalten. Dafür müssen sie ihre Hinweise gegenüber dem Vorstand und den Eltern  verständlich kommunizieren.

Die gelingende Erziehungspartnerschaft als Aufgabe

Handlungsspielräume, klare Zuständigkeiten und zurückgewonnenes Vertrauen waren entscheidende Schlüssel. Ein Qualitätsprozess wurde gestartet. Die Kichererbsen entschieden sich darüber hinaus für eine externe Begleitung des Prozesses und zogen Maria Groß, Bildungsreferentin des Paritätischen Sachsen, hinzu.

Im Dialog ergründete man die bestehenden Kommunikations- und Entscheidungswege. Schon an dieser Stelle konnten Missverständnisse beseitigt und die Perspektive des Gegenübers eingenommen werden. Zuständigkeiten wurden ausdiskutiert und geklärt. Dabei traten die gemeinsame Wertebasis und die Bedeutung des Kinderladens für die Kinder immer deutlicher in den Vordergrund: Egal ob Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Hauptamt und Ehrenamt oder Laie und Fachkraft – im Grunde geht es um eine gelingende Erziehungspartnerschaft, die sich auf das Wohl des Kindes ausrichtet.

Möglichkeiten für Dialog schaffen

Aus den vielen Gesprächen und den Konfliktbearbeitungsprozessen entwickelten alle Beteiligten gemeinsam das Instrument von jährlich zwei Klausuren des Vorstandes mit dem Team. Diese finden über anderthalb Tage am  Wochenende mit externer Begleitung und zuvor gesammelten Themen statt. In diesem Rahmen gelingt es nun bereits seit mehreren Jahren, fachliche und zwischenmenschliche Fragen zu klären. Vor allem öffnen die Klausuren zunehmend Raum und Kraft für gemeinsame Ideen und Verbesserungsmaßnahmen.

„Die regelmäßigen Klausuren sind bis heute ein wertvolles Instrument und zudem zentrale Austauschplattform zwischen Team und Vorstand. Sie dienen dazu, aktuelle Themen zu besprechen, gemeinsame Haltungen zu entwickeln und qualitätsverbessernde Prozesse zu planen und zu etablieren. Insgesamt ist die Klausur für alle ein Lernprozess, der uns fachlich und menschlich fordert“, gibt das aktive Vorstandsmitglied Benjamin Beck zu. Denn er weiß, dass eine Elterninitiative nicht nur Träger einer Kita, sondern immer auch Lernort für engagierte Eltern ist.


Der Artikel erschien in der ersten Ausgabe des Verbandsmagazins anspiel.

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