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Wohnen – die neue soziale Frage?

Symbolbild: Verschiedenfarbige Wohnblöcke vor einem blauen Himmel.

Um es vorwegzunehmen: Die Antwort lautet „Ja.“ Doch so neu ist das Thema nicht, da uns Fragen rund um Wohnen und adäquate Unterbringung als Träger der Sozialen Arbeit schon immer bewegt haben. Die Wohnungslosenhilfe ist nahezu eine der ursprünglichsten Aufgaben der Wohlfahrtsarbeit. Wohngruppen für junge Menschen, Unterkünfte für Geflüchtete, barrierefreier Wohnraum für Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen sind ebenfalls nicht erst seit gestern aktuell. Hier ließe sich noch einiges aufzählen, bei dem das sprichwörtliche Dach über dem Kopf und die Soziale Arbeit ineinandergreifen.

Also doch ein alter Hut? Nein. Denn Wohnen hat in den letzten Jahren in der gesellschaftlichen Diskussion einen ganz neuen Stellenwert erhalten. Weil wir alle wohnen müssen und nicht nur sogenannte Randgruppen diesbezüglich auf Hürden und Probleme treffen. In einem Land, in dem der Großteil der Menschen zur Miete wohnt, spüren große Bevölkerungsteile Veränderungen am Wohnungsmarkt deutlich. Das war schon immer so. Neu ist jedoch, dass gerade in den Ballungszentren auch für Normalverdienende die monatliche Miete zur Belastung wird.

Doch am schwersten trifft es nach wie vor Menschen mit geringem Einkommen oder besonderen Bedarfen. Ihnen fällt es immer schwerer, sich auf dem Wohnungsmarkt zu behaupten. Darunter sind beispielsweise Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten sowie ältere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund. Selbst Studierende haben zunehmend Probleme, ein Zimmer zu finden, in dem es sich gut leben und lernen lässt.

Wohnen als wichtige Rahmenbedingung

Mehr noch: Während in den Städten bestimmte Personengruppen verdrängt werden, leidet der ländliche Raum unter Abwanderung und wegbrechender Infrastruktur. Ohne eigenes Fortbewegungsmittel ist man hier nahezu abgehängt, da der Bus nur zweimal am Tag fährt - wenn überhaupt einer fährt. Teilhabe am sozialen Leben? Fehlanzeige.

Diese Entwicklung alarmiert uns, da auch Soziale Arbeit vielfach ins Leere läuft, wenn etwa ohnehin unterstützungsbedürftige Menschen keine angemessene Wohnung haben. Eklatant werden die Probleme dann, wenn beispielsweise Frauen mit ihren Kindern in Frauenhäusern oder Menschen in psychiatrischen Einrichtungen verbleiben müssen, nur weil sie keine bezahlbare Wohnung finden. Auch werden junge Menschen aus Einrichtungen der Jugendhilfe zum Teil in die Wohnungslosigkeit entlassen, wenn sie die Altersgrenze der Jugendhilfe erreicht haben. Zudem wird es insbesondere in Ballungszentren für die Träger Sozialer Arbeit immer schwerer, geeignete Räume für ihre Angebote zu finden. Von Fällen wie jenem, in dem eine durch einen Träger angemietete Wohnung für eine Demenz-WG auf einmal zu Gewerberäumen umgewidmet wurde, ganz zu schweigen.

Der Markt stößt an seine Grenzen

Leider gibt es nicht die eine Lösung, um alle mit dem Thema in Verbindung stehenden Fragen zufriedenstellend zu beantworten. Kosten und Verfügbarkeit dominieren die aktuelle Debatte. Richtig ist: Der Mensch muss wieder in den Mittelpunkt des wohnungspolitischen Denkens und Handelns gestellt werden. Der Markt scheint hier nicht das adäquate Mittel zu sein, um allen Menschen in ihren individuellen Bedarfen und Möglichkeiten gerecht zu werden. Eine offene Diskussion, die staatliches Handeln einerseits und wohnungswirtschaftliche Interessen andererseits in Einklang bringt, ist längst überfällig. Eine verkürzte Debattenkultur, wie sie in den letzten Jahren leider immer stärker um sich zu greifen scheint, hat noch nie zu belastbaren Ergebnissen geführt. Das wird hier nicht anders sein.

Um menschenwürdiges Wohnen zu ermöglichen, brauchen wir zudem inklusive Sozialräume - im städtischen wie auch im ländlichen Bereich. Jeder Mensch gestaltet mit seinem Leben und seinen alltäglichen Verrichtungen die Beziehungen im Sozialraum mit. Damit sind sie gleichermaßen individuelle Lebensräume wie auch strategische Handlungsräume mit einer inklusiven Zielrichtung. Es geht also darum, das selbstbestimmte und das gemeinschaftliche Leben aller Menschen in diesen Sozialräumen zu ermöglichen. Ein inklusiver Sozialraum ist ein barrierefreies Lebensumfeld, das alle Menschen selbstbestimmt gemeinsam nutzen und mitgestalten, weil sie hier Sicherheit und Geborgenheit erfahren.

Im Sozialraum Lösungen umsetzen

Wichtigste Voraussetzung dafür und zugleich dauernde Aufgabe in unserer Gesellschaft ist das Eintreten für gegenseitigen Respekt, die Akzeptanz von Vielfalt, Diskriminierungsfreiheit und die gegenseitige Wertschätzung unterschiedlicher Fähigkeiten und Einschränkungen.

Die Schaffung inklusiver Sozialräume ist eine Querschnittsaufgabe, die in den und unter Federführung der Kommunen gestaltet werden muss. Es bedarf einer gemeinsamen Strategie aller Akteure des öffentlichen und privaten Bereichs vor Ort. Dazu gehören unter anderem Infrastruktur-, Verkehrs-, Stadtentwicklungs- und  Sozialplanung.

In unserer Mitgliedschaft finden sich einige gute Beispiele, bei denen Träger im Netzwerk mit lokalen Akteuren solche Sozialräume gestalten. Die besonderen Bedarfe der jeweiligen Klient*innen und deren Teilhabe sind Motor dieser Bestrebungen. Die Kooperation zwischen sozialen Organisationen und der Wohnungswirtschaft bildet dabei einen wichtigen Ansatz. Als Verband stärken und unterstützen wir die Mitglieder bei derartigen Vorhaben.

Wir sehen also eine große Bandbreite an notwendigen Maßnahmen. Dennoch haben wir im innerverbandlichen Dialog einige Schwerpunkte herausgearbeitet, die Schnittmengen zum Wohnen besitzen. Die neue Landesregierung sollte sich diesen dringend zuwenden:

Fast fünf Jahre nach Verabschiedung des Landesaktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Freistaat Sachsen sind eine Evaluation der begonnenen Maßnahmen und eine transparente Kommunikation der Ergebnisse notwendig. In der Folge sind Förderlücken zu schließen und es ist hinsichtlich der Wirksamkeit einzelner Maßnahmen nachzusteuern.

Beratungsstrukturen für auf dem Wohnungsmarkt benachteiligte Personengruppen müssen gestärkt werden, damit aktuell bestehende Tendenzen der Diskriminierung begrenzt und Zugänge geöffnet werden.

Neben dem Ausbau von Strukturen der Wohnungslosen und Wohnungsnotfallhilfe bedarf es dringend einer landeseinheitlichen Statistik. Land und Kommunen sind hierbei gleichermaßen gefordert, eine entsprechend abgestimmte Sozialberichterstattung umzusetzen.


Der Autor: Matthias Steindorf ist Bereichsleiter für Soziale Arbeit und Bildung des Paritätischen Sachsen. Er moderiert den innerverbandlichen Diskurs zum Thema Wohnen und ist seit Jahren an der Zusammenarbeit zwischen Wohlfahrtsverbänden und Wohnungswirtschaft beteiligt.

Kontakt:

Tel.: 0351/ 828 71 140
E-Mail: matthias.steindorf(at)parisax.de


Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 2.2019 des Verbandsmagazins anspiel. das unter dem Titel "Home, sweet home." verschiedene Facetten des Themas Wohnen beleuchtete.