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Wohnen: Selbstbestimmt in der WG

Symbolbild: Auf einem Wohnungsgrundriss liegt Kleingeld

Während Wohngemeinschaften früher eher noch als unkonventionelle Form des Zusammenlebens galten, sind sie heutzutage eine Wohnform unter vielen. Mit dem gestiegenen Wunsch nach Selbstbestimmung entscheiden sich zunehmend mehr Menschen mit Behinderung, so zu wohnen. Der Schloss Schönefeld e.V. begleitet das Thema schon seit einigen Jahren.

Anfang der 1990er Jahre stand es nicht gut um das Schloss Schönefeld in Leipzig. Der Zahn der Zeit hatte unermüdlich am Schloss und den umliegenden Gebäuden genagt. Die dort untergebrachte Pflegeeinrichtung für alte Menschen und Kinder mit Behinderung musste ausziehen. Wer seitdem nicht mehr vor Ort war und heute den Hof betritt, wird seinen Augen kaum trauen. Das Schloss und seine Umgebung sind nahezu vollständig restauriert und an die heutige Nutzung als Bildungs- und Wohnort bestens angepasst. Auf dem Gelände befinden sich eine Förderschule, Außenwohngruppen und zwei Wohngemeinschaften. Träger der Anlage sind der Schloss Schönefeld e.V. und seine Töchter, die Wohnen plus gGmbH und die Lernen plus gGmbH.

„Die Wohngemeinschaften sind noch recht neue Projekte. Träger, die dem Wunsch von Menschen mit Behinderungen nach einem weitgehend selbstbestimmten Wohnen nachkommen möchten, sollten sich diesem Modell zuwenden. Die Nachfrage ist bei den Absolvent*innen unserer Schule und deren Eltern in den letzten Jahren spürbar gestiegen“, berichtet Jens Eberl, Geschäftsführer der Wohnen plus gGmbH. Natürlich weiß Eberl um die formalen Hürden und rechtlichen Fragen, die auf einen Träger hinsichtlich des Betriebs von Wohngemeinschaften zukommen. Wie viele andere auch hofft er auf Erleichterungen im Zuge der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Sachsen und auf entsprechende Anpassungen in landesspezifischen Regelungen wie beispielsweise dem Sächsischen Wohn- und Betreuungsgesetz.

Menschliche Fragen des Zusammenlebens beachten

Die formalrechtliche Seite, Fragen der Kostenübernahme und bürokratische Hindernisse sind ärgerlich und diesbezüglich müsse dringend etwas geschehen, das steht für den Geschäftsführer außer Frage. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen bewertet Jens Eberl einen weiteren Gesichtspunkt jedoch als mindestens ebenso wichtig, wenn nicht als noch wichtiger, damit das gemeinsame Wohnen gelingt: Es ist die Frage nach der menschlichen Komponente. Passen die Bewohner*innen zusammen?

„Da wir auch Träger einer Förderschule sind, kommen Eltern vermehrt mit dem Wunsch auf uns zu, ihren Kindern nach dem Schulabschluss individuelles Wohnen zu ermöglichen. Wir sind deshalb dazu übergegangen, die Perspektiven schon in den letzten Schuljahren mit den Eltern zu besprechen. Da ist es zum Beispiel von Vorteil, wenn sich die Eltern von befreundeten Schülerinnen und Schülern bereits kennen und entsprechend austauschen können. Das ist nicht immer der Fall, weshalb wir auch Informationsveranstaltungen und Vernetzungsmöglichkeiten organisieren“, erklärt der Geschäftsführer und meint: „Wäre allein die Nachfrage ausschlaggebend, könnten wir fast alle zwei Jahre Wohngemeinschaften gründen.“

Rechtzeitig mit den Vorbereitungen für das gemeinsame Wohnen zu beginnen, ist entscheidend dafür, ob es am Ende auch funktioniert. Vor allem sind ganz lebenspraktische Fragen zu klären. So zum Beispiel: Sind die Assistenzbedarfe ähnlich? Wie sind die Tagesabläufe gestaltet? Wie müssen die Räumlichkeiten beschaffen sein? Werden die Kosten für den Gesamtaufwand der Wohngemeinschaft zusammen veranschlagt und gleichmäßig verteilt oder ist eine individuelle Abrechnung gewünscht? Eine fundierte Bedarfsanalyse ist unerlässlich. Träger sollten diesen Prozess gut begleiten, um die Bedarfe und Wünsche der zukünftigen Bewohner*innen und die Planung kommender Anforderungen an die Fachkräfte vor Ort von Beginn an im Blick zu haben.

Gerade für Eltern, die sich nach dem Schulende ein gemeinsames Wohnen ihrer Kinder wünschen, gilt jedoch, gemeinsam mit den Kindern ein Verständnis darüber zu entwickeln, wie sie sich das Zusammenleben vorstellen. Soll es perspektivisch um lebenslanges gemeinsames Wohnen gehen oder eines nur für einen bestimmten Lebensabschnitt? Die jeweiligen Interessen müssen miteinander abgeglichen werden. Ausreichend Zeit ist hierbei entscheidend. Wenn ein Träger diesen Prozess nicht selber unterstützen und unter Umständen auch moderieren kann, sollten Netzwerkpartner zur Hand sein, an die in diesem Fall vermittelt werden kann. Netzwerke von Eltern oder auch der zuständige Integrationsfachdienst können hierbei gute Anlaufstellen sein.

Wohngemeinschaften als attraktiver Arbeitsort für Fachkräfte

Das Modell der Wohngemeinschaft ist nicht nur für die Bewohner*innen selbst interessant. Jens Eberl verweist darauf, dass gerade junge Fachkräfte die Arbeit in diesem Betreuungssetting sehr schätzen: „Der persönliche Rahmen und die unmittelbare Nähe zur Lebenswelt der Bewohnerinnen und Bewohner gefällt insbesondere jungen Menschen im Berufseinstieg gut. Unsere Beschäftigten spiegelten uns, dass die Begleitung des Alltags in den Wohngemeinschaften oft eine individuellere Note habe als das in anderen Wohnformen für Menschen mit Behinderung der Fall sei. Wenn ich an das Thema Mitarbeiterbindung denke, bei dem wir verstärkt auf die Wünsche und Bedarfe der Beschäftigten Rücksicht nehmen wollen, ist das Modell Wohngemeinschaft auch aus Arbeitgebersicht äußerst sinnvoll. Es bereichert das Trägerportfolio also auch hinsichtlich der Arbeitgeberattraktivität.“


Seit über 20 Jahren bietet die Wohnen plus gGmbH unterschiedliche Wohnformen für Menschen mit Behinderungen an. In dieser Zeit sammelte das Unternehmen Erfahrungen mit verschiedenen Ansätzen. Der Schloss Schönefeld e.V. und die Wohnen plus gGmbH bringen sich mit ihrem Wissen zudem aktiv in den innerverbandlichen Dialog ein.

Erfahren Sie mehr über die Mitglieder unter: www.schloss-schoenefeld.de

Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 2.2019 des Verbandsmagazins anspiel.