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Wohnteilhabegesetz: Beschränkende Bewohner*innenzahl bremst Inklusion

Ältere Dame im Rollstuhl blickt aus dem Fenster. (Foto: rawpixel Ltd./ Fotolia.com)

Mit dem Sächsischen Wohnteilhabegesetz soll das selbstbestimmte Wohnen von Menschen, die Pflege-, Betreuungs- und Assistenzleistungen beziehen, gestärkt werden. Mit einer gut gemeinten Regelung zur Beschränkung von Bewohner*innen wirkt das Gesetz diesem Ansinnen jedoch entgegen.

Das Wohnteilhabegesetz (WTG) wird Regelungen für Sachsen treffen, wie Menschen selbstbestimmt im Alter, bei Behinderung und Pflegebedürftigkeit wohnen. Damit folgt der Freistaat maßgeblich den Vorgaben des Bundesteilhabegesetzes, demnach jeder Mensch das Recht hat, selbstbestimmt an der Gesellschaft teilzuhaben und sich seinen Wohnraum frei zu wählen.

Wohnen in der Einrichtung oder anderen Wohnformen

Das WTG unterscheidet grundsätzlich zwischen Einrichtungen und Wohngemeinschaften, in denen die Mieter*innen Leistungen durch einen ambulanten Dienst erhalten. Maßgeblicher Unterschied ist, dass in den Einrichtungen die Leistung des Anbieters mit der Miete verbindlich verknüpft ist. Zudem gelten für Einrichtungen besondere Standards und Anforderungen. Bei den Wohngemeinschaften sind die Bewohner*innen in der Regel Mieter*innen, die sich je nach Bedarf ambulant versorgen lassen. An den Wohnraum und die mögliche Begleitung und Organisation durch einen Leistungsanbieter bestehen ordnungsrechtlich geringere Anforderungen.

Bei mehr als 24 Personen von einer Einrichtung auszugehen ist verfehlt

Nun gibt das WTG aber vor, sobald ein Anbieter mehr als 24 Bewohner*innen in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander Wohnraum in ambulant betreuten Wohngemeinschaften begleitet, sei dies als Einrichtung zu bewerten. Damit möchte man dezentrales Wohnen fördern. Die Idee der Dezentralisierung geht hinsichtlich einer Durchmischung von Quartieren im Sinne eines inklusiven Miteinanders durchaus in die richtige Richtung. In der Praxis bringt die zahlenmäßige Beschränkung jedoch mehr Schwierigkeiten, als sie Inklusion fördern würde.

Gesetzliche Vorgaben und Realität passen nicht zusammen

Nur etwa zwei Prozent aller Wohnungen in Deutschland sind barrierefrei. Wenige davon sind tatsächlich frei und vermietbar. Damit scheitert die Vorgabe schon an den Kapazitäten des Wohnungsmarktes, da eine räumliche Entzerrung praktisch unmöglich ist. Viele durch einen ambulanten Anbieter begleitete Wohngemeinschaften oder Wohnungen würden demnach als Einrichtungen bewertet, mit allen Anforderungen und Standards.

Schon heute gibt es in Sachsen Angebote, die mehr als 24 Bewohner*innen in unmittelbarer räumlicher Nähe gut begleiten - so auch unser Mitglied die Gemeinnützige Zuhause Leipzig GmbH. Deren Geschäftsführer Martin Becker schildert das Spannungsfeld wie folgt: „Wir agieren als freier Assistenz- und Pflegedienst für Menschen mit Handicap, die in der eigenen Häuslichkeit betreut werden möchten. Unsere Klient*innen sind in fast allen Fällen an die örtlich zugelassenen Höchstgrenzen der Kosten der Unterkunft gebunden und haben bei barrierefreiem Wohnraum nur eine sehr begrenzte Wahlmöglichkeit. Das bedeutet, viele müssen in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander wohnen, weil es schlicht keine verfügbaren Wohnungen gibt. Die Regelung im WTG stigmatisiert diese Personengruppe und setzt ambulante Dienste vor eine enorme Herausforderung. Zumal Regelungen für Einrichtungen in den meisten Wohngebäuden nicht ansatzweise umzusetzen sind.“

Beschränkungen der Bewohner*innenzahl verhindert Innovation

Neben den praktischen Problemen kommt hinzu, dass die Vorgaben neue Ideen und Konzepte des Wohnens ausbremsen. Die Sachsen werden älter. Die Betreuungs- und Pflegebedarfe nehmen zu. In den letzten Jahren entstehen vermehrt Projekte, bei denen sich Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenfinden und Ideen des gemeinsamen Wohnens im Alter entwickeln. Ein recht plakatives Beispiel ist das Umgestalten eines alten Gutshofes, in dem individuelle Wohneinheiten entstehen und viele der Bewohner*innen Unterstützungsleistungen durch Pflege- oder Asisstenzdienste erhalten. Nach der jetzigen Regelung müsste das Objekt bei mehr als 24 betreuten Mieter*innen den Anforderungen einer Einrichtung genügen. Das ist illusorisch und bremst jede Initiative für ein inklusives und selbstbestimmtes Wohnen schon vor deren Beginn aus.

Das Vorhaben, dezentrales Wohnen zu befördern, wird nicht erreicht. Damit dies möglich wird, muss vor allem ein inklusiver Wohnungsmarkt mit ausreichend barrierefreiem Wohnraum entstehen. Hierfür gilt es, Standards im Baurecht zu definieren und bestehende Förderungen auszubauen, um die Attraktivität barrierefreien Bauens zu stärken.

Taugliche Kriterien abseits der beschränkten Personenzahl vorhanden

Auch für die Definition, ab wann von einer Einrichtung auszugehen ist - an die zu Recht besondere Anforderungen gestellt werden - ist die zahlenmäßige Begrenzung untauglich. Zumal das Gesetz bereits praktikable Kriterien vorgibt wie beispielsweise die vertragliche Bindung der Miete an die angebotene Leistung und den umfassenden Versorgungscharakter mit höherer personeller Ausstattung oder hygienische und bauliche Standards. Diese Anforderungen werden im Schutzgedanken gesetzt. 

Wohngemeinschaften sind hingegen freier in der Gestaltung des Zusammenlebens, der Auswahl und der Gestaltung der Räumlichkeiten für die Wohngemeinschaft sowie der Organisation der Pflege, Betreuung und Assistenz. 

Begrenzenden Anzahl der Bewohner*innen aus dem WTG streichen

Die grundsätzliche Regelung der Anzahl der Bewohnenden in anbieterverantworteten ambulanten Wohngemeinschaften sollte demnach ersatzlos gestrichen werden. Nicht zuletzt, um ein zukünftiges Leistungsangebot mit neuen Ansätzen zu ermöglichen. So lässt sich der Weg hin zu einem neuen dezentralisierten Wohnen erfolgreich beschreiten und der Ansatz des selbstbestimmten Wohnens für Menschen mit Behinderungen kann Wirklichkeit werden.


Kontakt

Anne Cellar (Referat Teilhabe)

Tel: 0351 – 828 71 150
E-Mail: anne.cellar(at)parisax.de

 

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