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Wohnteilhabegesetz: Selbstbestimmung und Therapie im Konflikt?

Symbolbild: Auf einem Wohnungsgrundriss liegt Kleingeld

Das neue Wohnteilhabegesetz geht auf die Zielgerade des Gesetzgebungsprozesses. Hinsichtlich des Hausrechts von Bewohner*innen könnten im Gesetzentwurf geplante Regelungen dem therapeutischen und pädagogischen Handeln entgegenstehen.

Das Wohnteilhabegesetz (WTG) soll künftig den Rahmen für Betreuungs- und Wohnqualität im Alter, bei Behinderung und Pflegebedürftigkeit in Sachsen setzen. Leitend ist dabei der in den letzten Jahren eingeleitete Paradigmenwechsel hin zu mehr Selbstbestimmung für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen. Sachsen entschied sich dafür, ein neues Gesetz zu entwickeln, anstatt lediglich das bisher für diesen Bereich geltende Wohn- und Betreuungsgesetz zu novellieren. Eine richtige Entscheidung.

Doch bekanntlich steckt der Teufel im Detail. Zudem sollen Gesetze so gestaltet sein, dass sie möglichst viele Ausprägungen des jeweiligen Gestaltungsbereiches gleichermaßen abdecken. Keine leichte Aufgabe für das inhaltlich federführende Ministerium und die im Landtag sitzenden Gesetzgeber*innen. Da ist das neue WTG keine Ausnahme.

Eine der großen Herausforderungen beim WTG ist, dass es sowohl für die Pflege als auch das Wohnen von Menschen mit Behinderungen gelten soll. Auch daran ist nichts falsch, da es in beiden Bereichen durchaus Parallelen gibt. Aber eben auch Unterschiede, denen besondere Aufmerksamkeit zukommen muss.

Wohnung oder Zimmer als Raum maximaler Privatheit

Selbstbestimmung und Rechte für Bewohner*innen müssen großgeschrieben werden. Gerade beim Thema Wohnen ist Sensibilität gefordert. Schließlich geht es um jenen Ort, in den man sich zurückzieht, der geradezu synonym ist für Privatheit, Sicherheit und Geborgenheit: die eigene Wohnung oder das eigene Zimmer. Nicht umsonst ist dieser Umstand als Grundrecht in Artikel 13 unseres Grundgesetzes mit den unmissverständlichen Worten verankert: „Die Wohnung ist unverletzlich.“ Sie ahnen es, jetzt wird es schwierig.

In den zurückliegenden Monaten begleiteten wir den Gesetzgebungsprozess zum WTG aufmerksam. Gemeinsam mit unseren Mitgliedern ergründeten wir, inwieweit sich künftige Regelungen auf verschiedene Wohnangebote für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen auswirken oder wie diese gestaltet werden müssen.

Selbstbestimmung und ihre Grenzen im therapeutischen Alltag

Dabei sprachen wir unter anderem auch mit Jens Böttcher vom Verein zur sozialen Rehabilitation von Abhängigkeitskranken. So schilderte er hinsichtlich der im Gesetzentwurf verankerten Abschließbarkeit: „In einem Haus, in dem Männer wohnen, die einen geringeren Assistenzbedarf haben, haben wir das bereits umgesetzt. In anderen Bereichen der besonderen Wohnform überlegen wir, wie das mit wem funktionieren kann. Nehmen wir zum Beispiel Bewohner mit Wernicke-Korsakoff-Syndrom, auch bekannt als Alkoholdemenz, bei dem das Kurzzeitgedächtnis stark beeinträchtigt ist. Die Schwierigkeiten, sich selbst zu strukturieren, sind sehr hoch. Wie regeln wir den zu erwartenden Schüsselverlust? Wer soll die Kosten tragen? Wir sehen vieles, was das Ordnungsrecht generell vorschreibt, eher als therapeutische Herausforderung. Selbstbestimmung und Mitbestimmung sind anstrebenswert, jedoch gerade bei unseren Klienten oft ein Thema, auf das die jeweilige Therapie erst hinarbeitet und im Sinne des Gesetzes so noch nicht gegeben ist.“

Ein Zimmer betreten zu müssen, kann im Fall von Suchterkrankungen mitunter unumgänglich sein. „Wenn wir vermuten, dass Suchtmittel konsumiert werden, begehen wir in Anwesenheit der Personen bereits jetzt die Zimmer. Auch wenn dies verweigert wird, setzen wir auf Mitwirkung und gehen das Thema gemeinsam pädagogisch an - ähnlich wie bei Alkohol- und Drogentests. In Einrichtungen der Suchthilfe sind Zimmerkontrollen zur Wahrung der Abstinenz in einzelnen Fällen auch, um Selbstschädigungen oder gar Suizid zu verhindern, notwendig. Wenn als Teilhabeziel die Selbststrukturierung gesetzt ist, kann es auch erforderlich sein, in einen Schrank zu gucken“, erklärt Jens Böttcher und fordert: „Das WTG muss diese Praxis widerspiegeln.“

Ordnungsrecht mit Blick auf Mensch und Therapie gestalten

Es gibt weitere Beispiele aus dem Wohnalltag. Doch dieser kleine Ausschnitt verdeutlicht bereits, dass ordnungsrechtliche Vorgaben, dem Ziel therapeutischer und pädagogischer Arbeit nicht entgegenstehen dürfen. Bei Verdachtsmomenten immer die Polizei rufen zu müssen, würde vermutlich mehr Schaden anrichten, als das Hausrecht in diesen Momenten einzuschränken. Denn in einer gelingenden Begleitung wird die Beziehung zu den Menschen gestärkt. Ferner hilft es ihnen, ihre Ziele zu erreichen und aktive Selbstbestimmung und Teilhabe zu erlangen.

Mögliche Einschränkungen des Hausrechts klar definieren

Daher schlagen wir als Paritätischer Sachsen vor, das Hausrecht im WTG insofern einzuschränken, wenn folgende Aspekte erfüllt sind:

  • Es liegen betreuungsbedingte oder medizinische Gründe vor.
  • Die einschränkenden Maßnahmen müssen nachweislich erforderlich und angemessen sein.
  • Die betroffene Bewohnerin oder der betroffene Bewohner sind rechtzeitig anzuhören.

Kontakt

Anne Cellar (Referat Teilhabe)

Tel: 0351 – 828 71 150
E-Mail: anne.cellar@parisax.de

 

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