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Wohnungslosigkeit und Pflege: „In die Schuhe des anderen steigen.“

Schatten auf einer Treppe. (Foto: Martin Schemm/ pixelio.de)

Immer mehr wohnungslose chronisch mehrfach beeinträchtige Abhängigkeitskranke benötigen pflegerische Versorgung. Das Team eines Dresdner Übergangswohnheims kooperiert daher seit Jahren mit einem ambulanten Pflegedienst und entwickelte gemeinsam mit diesem wichtige Kompetenzen.

Die Sonne scheint und der Wind streicht durch die Bäume auf dem Gelände des Übergangswohnheims der SZL gGmbH in Dresden-Trachenberge. Die Einrichtung bietet 55 Wohnplätze für Menschen ohne eigene Wohnung. Ein Teil der Bewohner*innen sind chronisch mehrfach beeinträchtigte Abhängigkeitskranke. „Wir möchten die bei uns wohnenden Menschen dabei unterstützen, wieder in eine eigene Wohnung oder in andere Wohnformen ziehen zu können“, beschreibt Einrichtungsleiter René Hagedorn das Ziel, das er gemeinsam mit seinem neunköpfigen Team verfolgt.

Pflegebedarf unter den Bewohner*innen steigt

Der jahrelange Suchtmittelkonsum wirkt sich bei vielen Bewohner*innen spürbar auf die Gesundheit aus. Der damit einhergehende Begleitungs- und Betreuungsaufwand überstieg zunehmend die vom Team erbringbaren Leistungen. Zwar hatte es schon immer Vorteile, eine examinierte Krankenschwester in der Belegschaft zu haben, sowie Mitarbeiter*innen, die neben den sozialpädagogischen Qualifikationen auch auf eine Pflegeausbildung zurückblicken können. Doch damit war der Aufwand bald trotzdem nicht mehr zu stemmen. Das Sozialamt der Stadt Dresden war  nicht bereit, den notwendigen steigenden Personalbedarf zu finanzieren, sondern verwies auf die Prüfung der Pflegebedürftigkeit (SGB XI) als vorrangige Leistung. Die daraufhin bei den Krankenkassen gestellten Anträge auf Pflegeleistungen wurden durchgehend positiv beschieden und man begab sich 2012 auf die Suche nach einem Pflegedienst, der die Betreuung übernehmen würde.

Berührungsängste abbauen und auf die Bedarfe der Zielgruppe eingehen

„Das war anfangs gar nicht so leicht. Wir probierten mehrere Anbieter aus. Neben den pflegerischen Aspekten ging es immer auch darum, den Pflegediensten die besonderen Bedarfe unserer Zielgruppe zu vermitteln. Dabei stießen wir mehrfach auf Vorurteile und Berührungsängste“, erinnert sich der Einrichtungsleiter. Gleichzeitig ist die Einrichtung für einen ambulante Pflegedienst durchaus attraktiv, da viele Pflegebedürftige örtlich nahe beieinander sind und somit lange Fahrzeiten entfallen.

Allerdings gibt es immer wieder Schwierigkeiten mit den Klient*innen. Mal sind sie nicht da, wenn der Pflegedienst kommt, oder sie verweigern sich der pflegerischen Versorgung. Daher war das Einrichtungsteam unsicher, wie die externen Pflegekräfte und die jeweiligen Pflegeleistungen in den Alltag eingebunden werden können. Würde es immer möglich sein, die ambulanten Pflegekräfte durch Fachkräfte der Einrichtung zu unterstützen, beispielsweise wenn ängstliche Bewohner*innen zur Annahme der Dienste motiviert werden müssen? René Hagedorn erinnert sich: „Das klappte am Anfang nicht immer. Die Tagesform und emotionale Verfassung unserer Bewohner*innen kann teilweise stark schwanken. Absprachen werden nicht immer eingehalten. Einige reagieren mitunter unberechenbar. Nicht zuletzt deshalb sprangen einige ambulante Anbieter wieder ab.“

Personelle Kontinuität schaffen

Die ursprüngliche Idee, mit mehreren Diensten zusammenzuarbeiten, verwarf man also wieder. Es brauchte personelle Kontinuität. Die Pflegekräfte mussten nicht nur über die Besonderheiten der jeweiligen Pflegebedürftigen Bescheid wissen, sondern diese über die Zeit auch einschätzen und mit ihnen umgehen lernen. Nur so war es möglich,  zum einen Vertrauen bei den betreuten Menschen aufzubauen und zum anderen zu erkennen, wann die Hilfe durch die Fachkräfte des Übergangsheims sinnvoll und notwendig ist.

Nun arbeitet die Einrichtung seit neun Jahren gut mit einem Anbieter zusammen, dessen Beschäftigte die Einrichtung und ihre Bewohnenden mittlerweile gut kennen. Dieser Umstand und die räumliche Nähe der Pflegebedürftigen zueinander ermöglicht zudem die notwendige Flexibilität, wenn Pflegeleistungen mal nicht erbracht werden können, weil Bewohner*innen zum Beispiel nicht da sind. In diesem Fall kann die Versorgung eines anderen Pflegebedürftigen vorgezogen werden.

Sein Gegenüber kennenlernen

Ein Vorteil der Einrichtung bleiben die eingangs erwähnten pflegerisch geschulten Fachkräfte des Teams auch jetzt noch. Sie übernehmen in der Zusammenarbeit zwischen dem Übergangswohnen und dem ambulanten Pflegedienst eine wichtige Brückenfunktion. Aufgrund ihres beruflichen Hintergrundes können sie sich in die Pfleger*innen hineinversetzen und kennen entsprechende Fachtermini. So lassen sich eventuelle Probleme schneller lösen oder das Einrichtungsteam kann bestimmte Dinge schon vorbereiten. „Das ist ein Glücksfall“, weiß der Einrichtungsleiter und unterstreicht die Bedeutung des interprofessionellen Austauschs für eine gelungene Kooperation. „Es ist absolut unumgänglich, sinnbildlich in die Schuhe des anderen zu steigen. Selbst wenn wir nicht den glücklichen Umstand hätten, Pflegeerfahrene im eigenen Team zu haben, wäre es mir ein Anliegen, diesen Zugang für beide Seiten zu öffnen. Alle Beteiligten haben über die Jahre viel gelernt, was auch an anderen Stellen des beruflichen Alltags hilfreich ist. Ich bin davon überzeugt, dass die Professionalität aller dabei gestärkt wurde.“

Das Verständnis für die Arbeit des jeweils anderen und klare Absprachen sind einmal mehr die Basis für den Erfolg. Nur so war es möglich, die Pflegeleistung in die jeweiligen Tagesabläufe einzutakten und die mit den Pflegebedürftigen immer wieder auftretenden Unwägbarkeiten gut zu meistern. In beiden Teams wurden feste Ansprechpersonen benannt, die dem jeweiligen Gegenüber helfend zur Seite stehen können, wenn der Bedarf es verlangt. Zudem wurden die jeweiligen Zuständigkeiten klar miteinander abgestimmt. Über die Jahre flossen viele Erfahrungswerte ein und die Zusammenarbeit wurde entsprechend justiert.

Dank der erfolgreichen Kooperation erhalten die Bewohner*innen nun eine gute Versorgung – sowohl sozialtherapeutisch als auch pflegerisch. Damit bietet das Übergangswohnen im Dresdner Nordwesten einen stützenden Rahmen, um Schritte auf dem Weg zum selbstbestimmten Wohnen gehen zu können. Denn das ist das Ziel, der hier lebenden Menschen und des Einrichtungsteams. Selbst wenn der Einrichtungsgarten mit den alten Bäumen noch so sehr zum Verweilen einlädt.


Weitere Informationen und die Kontaktdaten des Übergangswohnheims Hubertusstraße in Dresden finden Sie auf der Webseite: www.suchtzentrum.de


Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe September 2021 unseres Verbandsmagazins anspiel. mit dem Themenschwerpunkt Kooperation. Jetzt einen Blick ins Heft werfen!