Dass Liebe mit dem Tod bestraft wird, erscheint uns in Deutschland unvorstellbar. Das ist jedoch in einigen Ländern Realität und treibt beispielsweise homosexuelle Menschen in die Flucht. Unsere Mitgliedsorganisation Lesben- und Schwulenverband Sachsen (LSVD) kümmert sich in Chemnitz um Personen mit diesem Fluchthintergrund.
Homosexualität zwischen erwachsenen Menschen ist in rund 40 Ländern explizit strafbar. In sechs dieser Länder droht auf homosexuelle Kontakte die Todesstrafe, in anderen drohen körperliche Strafen oder Haftstrafen bis hin zu lebenslänglich. In weiteren Ländern ist Homosexualität indirekt strafrechtlich relevant. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis90/ Die Grünen zur „Internationalen Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen“ vom März 2019 hervor. So ist es etwa in Marokko verboten, außerehelichen Sexualkontakt zu haben. Gleichzeitig ist es Homosexuellen nicht erlaubt, zu heiraten. In der Folge ist gleichgeschlechtliche Liebe auch ohne eigenständige Gesetzgebung verboten. Hinzu kommen Länder, in denen Hasskriminalität gegenüber LGBTI (lesbisch- schwul- bisexuelle- trans- oder intergeschlechtliche Menschen) kaum verfolgt, geschweige denn aufgeklärt wird. Nicht selten geht sie sogar von staatlichen Stellen selbst aus. Als „besorgniserregend“ beschreibt die Bundesregierung etwa die Situation in Russland.
Fluchtgrund: Verfolgung wegen sexueller Orientierung
Dem Sozialpädagogen Kevin Fiedler, Berater im Projekt „Information Center for LGBTI Refugees Chemnitz“ des LSVD, begegnen in seiner Beratungspraxis täglich Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung die Heimat verlassen mussten. So berichtet er unter anderem von einem Mann aus Kamerun, dessen Partner ermordet wurde und der um sein eigenes Leben fürchtete. Der einzige Ausweg: Flucht.
„Es sind zum Teil sogar die eigenen Familien, die den Betroffenen mit Gewalt und Tod drohen“, berichtet der Sozialpädagoge. Die Flucht ergriffen jedoch eher Männer, da lesbische Frauen in ihrem Herkunftsland oft verheiratet seien und Kinder hätten. So würden nur wenige von ihnen dieses Risiko wagen. Dabei könnten sich Frauen ebenso wenig zu ihrer Homosexualität bekennen wie Männer. Sowohl Männer als auch Frauen leben vielfach ein erzwungen angepasstes Leben entsprechend der Vorstellungen ihrer Verwandten und entgegen ihrer eigenen Empfindungen. „Man kann sich vieles nur sehr schwer vorstellen“, gibt Kevin Fiedler trotz langer Erfahrung zu, ist aber überzeugt: „Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit als erfundene Behauptung würde niemand freiwillig angeben, nur um in Deutschland Asyl zu erhalten. Die Scham, Angst und die bestehenden Repressalien in den Herkunftsländern haben sich derart eingebrannt, dass beispielsweise eigentlich heterosexuelle Männer nie vorgeben würden schwul zu sein. Jene, die sich outen, müssen sich oft sehr dazu überwinden und großen Mut fassen, zu sich selbst zu stehen.“
Angst, sich offen zu bekennen
In den Erstaufnahmeeinrichtungen erleben Geflüchtete deshalb erneut Ausgrenzung. Die sexuelle oder geschlechtliche Orientierung als Fluchtursache wird meist verschwiegen. Das erschwert Beratungsangeboten den Zugang zu den Betroffenen. Unterstützer*innen und Hilfesuchende müssen sich in der Regel über Umwege finden. Angebote in den Erstaufnahmeeinrichtungen selbst können nicht unterbreitet werden, weil dies die Menschen in einem riskanten Umfeld outen würde. „Ein fast überall bekanntes Symbol ist jedoch die Regenbogenfahne. Wir hängen unsere Kontaktdaten in Verknüpfung damit aus und die Menschen suchen uns außerhalb ihrer Unterkünfte auf“, beschreibt der Berater das Vorgehen des LSVD.
Kommt es zum Beratungsgespräch, muss zuerst die Sprachlosigkeit durchbrochen werden, um anschließend über alltagspraktische Fragen oder die Begleitung des Asylverfahrens reden zu können. Vertrauen aufzubauen, steht daher immer am Anfang. Der LSVD setzt dabei auf peer-to-peer-Kontakte, Empowerment zur Eigeninitiative und die Unterstützung von Community-Treffs. „Es ist für die Menschen wichtig, zu erfahren, dass sie nicht allein sind. Es gibt andere, die ähnlich fühlen und leben. Ab und an lernt sich da auch mal ein Paar kennen“, sagt Kevin Fiedler und lächelt. „Unser Schwerpunkt liegt auf der gegenseitigen Unterstützung und Stärkung. Das ist wichtig, denn hier in Chemnitz ist kaum eine lokale LGBTI-Szene vorhanden, da es viele in die größeren Städte zieht.“
Homophobie auch in Deutschland entgegentreten
Auch transgeschlechtliche Geflüchtete suchen beim Verein Rat. Neben der Begleitung der Asylsuchenden selbst liegt ein Schwerpunkt in der Sensibilisierung. „Homophobie und Transphobie sind auch hierzulande leider noch zu oft anzutreffen. Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben oder ihr bei der Geburt zugeschriebenes Geschlecht nicht annehmen können, erfahren zum Teil große Ablehnungen. Die Geflüchteten werden unter Umständen erneut mit ihren Ängsten konfrontiert. Natürlich sind die Risiken in Deutschland geringer als in den Herkunftsländern, aber besonders außerhalb der Städte ist das Verständnis für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt nicht wirklich ausgeprägt“, erklärt Kevin Fiedler. Homo- und Transphobie begegnet ihnen seitens der Bewohner*innen oder auch durch Mitarbeitende in Erstaufnahmeeinrichtungen, bei Übersetzer*innen der Anhörungsberatung oder in Behörden. Der LSVD bietet daher auch Fortbildungsangebote für kommunale Einrichtungen, Sprachmittler*innen und Behörden an.
Der Sozialpädagoge und seine Kollegin wollen in ihren Angeboten Offenheit und auch Sensibilität vermitteln. Er weist darauf hin: „Mitarbeitende in sozialen Einrichtungen können ebenfalls die Brücke zu LGBTI-Beratungsangeboten sein. Deshalb sollten Einrichtungen deutlich vermitteln, dass man offen sprechen kann und als gleichgeschlechtlich liebender Mensch oder transgeschlechtliche Person genauso akzeptiert wird wie alle anderen auch.“
Informationen zum LSVD Sachsen lesen Sie unter https://sachsen.lsvd.de/
Informationen und Unterstützung zu diesen oder anderen Themen der Vielfalt in der Organisationsentwicklung können Sie durch die „Paritätische Fach- und Informationsstelle für interkulturelle Öffnung und Diversität (PariFID)“ erhalten. Sie begleitet Veränderungsprozesse und berät.