In der Reihe „Menschenrechte konkret“ erzählen sächsische Organisationen der Sozial- und Bildungsarbeit, was einzelne Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte für ihre Arbeit bedeuten. Heute: LSVD Sachsen e.V. zu Artikel 5 – Verbot der Folter.
Diesmal sprachen wir mit Annelie Neumann vom Information Center for LGBTI* Refugees des LSVD Sachsen über die Bedeutung des Artikels 5 und dessen Auswirkungen auf die praktische Arbeit des Vereins.
Welche Rolle spielen diese Aspekte der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ in Ihrer Organisation, wenn Sie an Mitarbeitende oder Zielgruppen denken?
Der Artikel 5 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ spielt in unserer Projektarbeit insbesondere für die Zielgruppe eine zentrale Rolle. Im Information Center for LGBTI* Refugees des LSVD Sachsen beraten wir Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität verfolgt wurden und deshalb in Deutschland Asyl beantragen. Die Aspekte Folter, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung sowie Strafe waren in der Vergangenheit vieler LSBTI*-Geflüchtete eine reale Furcht oder sind gar traumatische Erinnerungen. Laut ILGA stehen homosexuelle Handlungen in 69 Ländern offiziell unter Strafe (vgl. ILGA Annual Review 2020).
Wo sehen Sie die größten gesellschaftlichen Herausforderungen in Bezug auf diese Aspekte der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“?
Aus unserer Projektperspektive ist der Nachweis von Verstößen gegen Artikel 5 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ sehr schwierig. Es reicht häufig nicht, wenn LSBTI*-Geflüchtete von ihren Erlebnissen berichten – die Verstöße müssen bewiesen werden. Dass ein erfolgreicher Nachweis auf Grund der Korruption in den Rechtssystemen der Herkunftsländer und durch die Angst vor weiteren Repressalien jedoch nur schwer möglich ist, wird in deutschen Asylbehörden wenig berücksichtigt. Wir sind in der Projektarbeit häufig mit verzweifelten Opfern von Verstößen gegen Artikel 5 konfrontiert, die durch die Erklärungsnot einer großen Gefahr der Retraumatisierung ausgesetzt sind. Somit gilt es nicht nur, die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ zu wahren, sondern auch einen sensiblen Umgang mit Betroffenen von Verstößen gegen die Erklärung zu pflegen.
Welche Lösungen für diese Herausforderungen sehen Sie?
Problematisch ist, dass innerhalb des Asylverfahrens die Beweislast ausschließlich bei den (queeren) Geflüchteten liegt. Deshalb ist an dieser Stelle vor allem Empathie und Sensibilität im Umgang mit Opfern von Folter und anderen menschenrechtswidrigen Behandlungen geboten. Mitarbeitende von Unterkünften und der Regelstruktur der Geflüchtetenhilfe müssen hier stärker sensibilisiert werden. Das gilt übrigens auch für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Diese Fähigkeiten müssen aktiv erlernt und kontinuierlich in der Praxis evaluiert werden. Die Bereitstellung und Nutzung einer umfassenden Informationslage für eine faktisch realistische, fundierte Kontextualisierung der Erfahrungen ist ebenfalls notwendig.
Was tun Sie in Ihrer Arbeit ganz praktisch dafür, diesen Aspekten der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ gerecht zu werden?
Unsere Zielgruppe ist häufig von Verstößen gegen den Artikel 5 betroffen. Diese Erfahrungen wirken sich unterschiedlich auf die queeren Geflüchteten aus: verinnerlichte Homo-/Transfeindlichkeit, Unsicherheiten, Auswirkungen einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Meist münden die Erfahrungen in soziale Isolation und Einsamkeit. Dem versuchen wir durch unsere spezialisierte Beratungsstelle entgegenzuwirken. Die Beziehung zwischen Berater*innen und Klient*innen wird möglichst vertrauensvoll und niedrigschwellig gehalten. Durch unseren Fokus auf Empowerment möchten wir Klient*innen auffangen, Selbstvertrauen vermitteln und Selbstbestimmung fördern. So wird die Resilienz der Betroffenen gestärkt, um bei solchen Traumata widerstandsfähig zu sein und um diese überstehen zu können.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - Artikel 5
Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Lesen Sie mehr über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auf www.institut-fuer-menschenrechte.de
LSVD e.V. ist eine von rund 200 Organisationen, die sich der Erklärung für eine menschenrechtsorientierte Sozial- und Bildungsarbeit in Sachsen angeschlossen haben.
Ihre Organisation möchte die Erklärung ebenfalls unterzeichnen?
Senden Sie eine E-Mail an nicole.boerner(at)parisax.de oder rufen Sie an unter 0351/ 828 71 152.
Alle bereits erschienen Interviews der Reihe können Sie hier lesen.